Fr. Dez 13th, 2024
    Videotipp
    Videotipp

    Du machst von den Möglichkeiten Gebrauch und stellst ein Video aus einer Unterrichtsstunde ins Netz. Die Öffentlichkeit sieht sich das an und kommentiert munter drauf los. Wozu sind diese Kommentare etwas nütze? Eine Auseinandersetzung damit.

    Ich habe (wieder einmal) den Fehler begangen, ein Video von mir anzufertigen mit den neuesten technischen Mitteln. Ich benütze manchmal gern die App „Socialcam“. Es ging um die „Garota de Ipanema“, ein Stück bedeutsame Weltgeschichte der internationalen Fahrstuhlmusik. Solch Musik wird gern in Aufzügen seicht geplätschert, während first (Miederwaren) und second (Damenunterwäsche, Bekleidung) floor im Kaufhaus des großartigen Westens angesteuert werden. Es gibt heutzutage zu wenige Conferenciers in den Aufzügen der Kaufhäuser. Dafür gibt es Fahrstuhlmusik. Kürzer: Stuhlmusik.

    Das Girl aus Ipanema ist ein Bossa Nova und ein Ohrwurm. Wer das Lied mal gehört hat, vergisst es mit Sicherheit nicht mehr. Die Karotte von Ipanema muss man auch üben, um den Bossa Nova hin zu bekommen. Im Grunde dasselbe Schicksal, wie jedes andere, dämliche Stück der Weltmusikgeschichte. Seit gestern weiß ich auch, dass ein weiteres Stück sich verballhornen lässt: „Sittin On The Cock Of The Gay“ sagen die schwyzerischen Jazzstudenten in Bern, wenn sie nebenbei noch Tanzmucke machen gegen harte Währung. Über weitere Stücke wie dieses will ich gar nicht nachdenken.

    La Purple Vie en Rose - The Famous, Xtraordinary Jazzidiots

    Die neuen technischen Möglichkeiten sind verlockend.

    Der Musiker ist im Übeprozess. Dieser Prozess hält bei den besten Musikern der Welt ihr Leben lang an. Die Wahrheit ist leider: Wir sind alle nicht perfekt. Manche von uns sind ziemlich gut, weil sie schon viel geübt haben. Oder mit Talenten ausgestattet, die über die Maßen ungewöhnlich sind.

    Ich selbst halte mich für mittelmäßig, vor allem aber für realitätsnah. Ich kann mich und meinen Stand der Technik beurteilen. Nicht alles, was ich tue, ist perfekt. An vielem muss ich noch viel üben. Einer von vielen Gründen ist auf jeden Fall: Ich habe in meinem Leben immer nur gespielt. Also nie richtig geübt.

    Damit krankt mein Spiel heute an den Unterlassungssünden von gestern. Ich hatte in früheren Zeiten (so ab den Siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts) kaum richtigen Unterricht bei Schlagzeugern, habe keine grundlegenden Ausbildungsschritte absolviert, beispielsweise Notenleere (und das habe ich absichtlich so geschrieben).

    Dafür konnte ich „aus freien Stücken“ relativ schnell „Shine On You Crazy Diamond“ von Pink Floyd trommlerisch begleiten, denn Drummer Nick Mason von Pink Floyd zählt für mich in meiner Erinnerung auch heute noch nicht zu den weltbesten Schlagzeugern, wenngleich sein Spiel ohne jeden Zweifel immer banddienlich war. Für mich ein toller Drummer, den ich immer mochte.


    13: 24.10.14: „La Purple Vie En Rose“ 366/14 #related article (Link unten)

    Heute haben wir viele, viele ausgebildete Topspezialisten am Start und weniger „gute amateurhafte Generalisten und Überflieger“. Die Leute heute sind viel, viel besser ausgebildet. Diejenigen Musiker, die aus früheren DDR-Zeiten kamen und in den Siebzigern und Achtzigern schon halbwegs professionell Musik machten allerdings sind vielfach ähnlich professionell ausgebildet. Man brauchte das eben für die Lizenz zum Spielen. Ich bin Wessi, also Amateur, und das Zeit meines Lebens.

    Von kleinen Zeitinseln und Ausnahmen in meinem Leben abgesehen, blieb ich immer ohne wesentlichen Unterricht. Erst so ca. 2006 und damit viel zu spät beschloss ich, für meine Weltmusikkarriere Numero Zwo (die erste war längst ca. 1996 abgeschlossen) Unterricht bei einem professionellen Schlagzeuglehrer zu nehmen. Meine Zielsetzung: Ich war in die Jahre gekommen (Baujahr 1962, bitte nachrechnen), hatte berufliche und private Karriere schon im wesentlichen vollzogen (Familie gegründet, beruflich gesettelt), die Babypause hinter mir und fürchtete nun die vollkommen merkbefreite Menopause meinerseits.

    Nein, ich würde es noch einmal richtig aufgreifen, denn Musik zu machen, das war für mich immer ein bisschen eine vernünftige Strategie, um nicht bürgerlich zu verblöden. Gegen den Spieß in mir, gegen das auf Mittelmaß und Langeweile gegen den Strich gebürstete bürgerliche Establishment.

    Vorsicht, Elfenbeinturm Hochmut: Manchmal weiß ich heute, dass das ein Trick des Gehirns ist, sich einzureden, Musik zu machen sei etwas gar Außergewöhnliches. Ein kreativer Prozess, eine künstlerische Sinnstiftung des Lebens. Die Wahrheit ist: Es gibt auch im Musikersein eine Vielzahl von geistigen Kleingärtnern, Hobbygrillbrutzlern und Freunden des Kneipen-Darts.

    Man sollte daher das Musikmachen nicht zu sehr glorifizieren. Großartig sind tatsächlich nur die wenigsten Musiker. Ansonsten ist es mit dem Musikmachen heute ja sehr ähnlich wie mit vielen anderen „Freizeitbeschäftigungen“: Du kannst professionelle Wildwasserrafting-Kataloge haben oder Obi-Heimwerkerbaumarkt-Prospekte, du kannst als Reiter „Countryshops“ besuchen und als Hobbyfotograf Paläste mit Winkeln, Objektiven und Gerät. Oder du kannst dir fürs Musikmachen von geschickten Marketingprofis die Taschen ausrauben lassen. Als Musiker erhalten wir heute nicht nur mehr Musikgeräte, als wir zum Spielen tatsächlich benötigen. Wir erhalten Unterricht, DVDs, Selbsterfahrungsseminare für Selbstmordattentäter vor und hinter der Kamera. Und wir haben das Internet. Wir können uns darstellen.

    Auf das Aufnehmen von Videos vom Schlagzeug spielen will ich natürlich nicht verzichten. Das ist auch gar nicht die Frage. Die Frage, die mich im Zusammenhang mit dem Veröffentlichen von Videos mit meinem Spiel aber zwangsläufig beschäftigen muss: Ist es gut, solche Videos tatsächlich ins Web 2.0 zu posten, sie also zu veröffentlichen und damit einer breiten, nicht mehr kontrollierbaren Masse von „virtuellen Freunden“ zu zeigen. Denn wie sich zeigt, sind unter den vermeintlichen Freunden viele, viele Menschen, die tatsächlich in negativer Art und Weise über das Gezeigte herfallen.

    Allerdings nicht öffentlich.

    Die einen sind offenbar wohlmeinend. Sie kommentieren irgendwie hilfreich zum Video. Oder als gutmeinende Berater. Einer schreibt „Mach keine Selfies“. Und ich denke: Ja, warum denn das nicht? Die Hälfte der Welt macht doch Selfies von sich, warum darf ich das denn nicht? – Ich kann kurz und präzise antworten: Ich mache Selfies von mir, wenn ich es will und wenn ich es brauche.

    In diesem Fall mache ich ein Video von der „Karotte von Ipanema“, die ich zu Unterrichtszwecken mit meiner Schlagzeuglehrerin eingespielt habe. Das Video ist unten verlinkt. Es hat übrigens ein paar technische Aufnahmefehler, die ich erst später so richtig und unter stabilem Interneteinfluss gesehen habe. Bild und Ton fallen auseinander, es sind offenbar Audiolatenzen drin. Ich lass es einfach drin, zu Beweiszwecken.

    Na und?

    Man muss vielleicht mal festhalten, dass ein Kommentar eines Betrachters immer auch einen Irrtum beinhalten kann. Man ist bei Videos immer anscheinsbeweisversessen: Man glaubt zu erkennen, was man sieht. – Was man in diesem Video aber sieht, ist tatsächlich folgendes: Ich spiele diesen Song, nehme ihn dabei auf und er hat aus technischen Gründen ein paar Macken, Bild und Ton verrutschen, weil das Video „on air“ vom iPhone aus ins Netz upgeloadet wurde. Das konnte ich im Zeitpunkt der Veröffentlichung gar nicht mit einrechnen.

    Ein anderer kommentiert: Man kann ja nicht mal die Clave richtig raus hören. Den Kommentar habe ich gelöscht. Ich find ihn richtig unpassend. Ist ein Kommentar sogar irgendwie hämisch, dann sagt mir das doch auch vieles über den Kommentarverfasser.

    Zeige dich stets nur von Deiner Schokoladenseite, von der allerbesten Seite, die Du aufzubieten hast. Und unterlasse jede Dokumentationsabsicht mit voreiligen Schnappschüssen, Fotos und Videos, nur weil das Web 2.0 sie Dir in trügerischer, ja gefährlicher Intension so leicht und locker anbietet?

    Ehrlich gesagt und um mich an diesem Punkt so kurz als nötig zu fassen: Ich brauche keine Ratschläge von Videoguckern, was ich besser machen könnte. Es freut mich, dass es einigen gefällt was ich zeige. Die Likes sind heutzutage der Sex des Alltags. Und ich weiß, dass es mit Sicherheit nicht allen gefällt. Was ich aber eigentlich gar nicht brauche, sind Ratschläge, mich in richtiger Art und Weise im Internet zu präsentieren, zu verkaufen oder darzustellen. Denn ich bin nicht von durchtriebenen, gekonnten, eigenen Erwägungen getrieben, lebe auch nicht davon und mache allerdings, was ich im Internet treibe, durchaus mit Tiefgang, vielen Facetten von Wahrheit, Wahrhaftigkeit, also ohne Schmu, Imagebuilding und Schnickschnack. Ich bin einfach ich, und das wird so bleiben.

    So viele Betrachter eines Zwischenergebnisses meines Lebens es gibt, so viele unterschiedliche Meinungen habe ich schon gehört. Einer der vielleicht bemerkenswertesten war: „Der bloggt, das ist nicht seriös.“ Na und?  Ein bullshit.

    Ich berichte davon, was ich tue. Was ich sehe und beobachte. Ich habe verschiedene Schwerpunktthemen in meinem Leben. Von manchen blogge ich, auf unterschiedlichen Seiten und immer wenn ich Lust dazu habe.

    Jenen, die mir immer so tolle, schnell dahin gerotzte Kommentare unter meine Beiträge schreiben, rufe ich bei dieser Gelegenheit gerne mal folgendes zu:

    Quatscht nicht. Macht mal was von Bedeutung.

    Ich danke für die erwiesene Aufmerksamkeit.

    Das purpurfarbene Leben ist verlockend. Bei Interesse seht Euch auch das Video auf socialcam an, um das es hier geht: „Garota de Ipanema„. Und, ja, es hat technische Aufnahmefehler und stellt keine perfekte Interpretation dar, sondern einen festgehaltenen Übeprozess meinerseits… – es ist wahrhaftig mit diesen Mängeln.

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